WHO legt neue Richtlinien für die Geburtshilfe fest

In einer öffentlichen Aussendung zur Frauengesundheit kritisiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den vermehrten Einsatz von Wehenmitteln während der Geburt. Die künstliche Einleitung ist in vielen Fällen gar nicht notwendig, der Fokus sollte stärker auf einen individuellen Geburtsverlauf gerichtet werden.

Medizinische Interventionen

Weltweit verzeichnet die WHO jährlich 140 Millionen Geburten, 95% aller Kinder kommen gesund zur Welt. Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich allerdings eines deutlich gezeigt: der Großteil aller Entbindungen verläuft nicht ohne medizinische Interventionen. Am häufigsten kommen dabei Wehenmittel in Form von Prostaglandin und/oder Oxytocin -Infusionen zum Einsatz. Die Medikamente sollen den Geburtsverlauf beschleunigen, auf den Muttermund wirken und die Wehentätigkeit ankurbeln. In vielen Fällen sei dieses künstliche Vorantreiben der Wehen jedoch gar nicht notwendig, so die Conclusio der WHO. Es ist davon auszugehen, dass Interventionen in der Geburtshilfe sorgfältig abgewogen werden. In der Praxis zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Wehenmittel werden häufig auch präventiv verordnet, manchmal ist der Einsatz von entsprechenden Präparaten dem Zeit- und Personalmangel an den Geburtenstationen geschuldet. Auch die Klassifizierung einer Geburt als medizinisches und somit riskantes Ereignis ist weit verbreitet.

Warum diese Entwicklung kritisch zu sehen ist, erklärt Dr. Princess Nothemba Simelela, stellvertretende Generaldirektorin für Familie, Frauen, Kinder und junge Erwachsene der WHO: „Die fortschreitende Medikalisierung natürlicher Geburtsprozesse untergräbt die Fähigkeit einer Frau, ihr Kind natürlich auf die Welt zu bringen. Das kann negative Geburtserlebnisse zur Folge haben.“ Wenn die Entbindung komplikationsfrei verläuft, der Muttermund sich beständig öffnet und Mutter als auch Kind in einem guten Zustand sind, besteht keine Veranlassung (aus medizinischer Sicht), die Geburt künstlich zu beschleunigen. Angesichts aktueller Trends in der Geburtshilfe hat sich die WHO nun entschlossen ihre Richtlinien zur Geburt zu überarbeiten. Die Individualität der Gebärenden und der Faktor Zeit rücken nunmehr in den Vordergrund.

Aktualisierte WHO-Richtlinien

Die Geburt ist ein natürlicher Prozess, der seinen Lauf möglichst frei von medizinischen Interventionen nehmen soll. Die aktualisierten WHO-Richtlinien umfassen 56 evidenzbasierte Empfehlungen für die Geburtshilfe. Unter anderem unterstützt die Weltgesundheitsorganisation folgende Aspekte:

  • Jede Gebärende hat das Recht einen Geburtspartner ihrer Wahl mitzunehmen. Er/sie soll als Vertrauensperson und emotionaler Beistand fungieren.
  • Gebärende sollten stets in alle Entscheidungen rund um den Geburtsverlauf eingebunden werden. Medizinische Interventionen nur in Absprache mit der Gebärenden!
  • Die Anzahl der medizinisch nicht notwendigen Interventionen soll reduziert werden.
  • Es gilt, die Privatsphäre der Gebärenden so gut als möglich zu schützen.
  • Jede Frau sollte ermutigt werden, sich während der Geburt, frei zu bewegen (vor allem im frühen Stadium der Wehen).
  • Gebärende dürfen ihre Gebärposition frei wählen und gegebenenfalls auch variieren, je nach Bedarf und Bedürfnis.
  • Babys halten sich nicht an einen vorgegebenen Zeitplan: jede Geburt verläuft unterschiedlich und individuell. Eine Geburt ist einzigartig.

Außerdem legt die WHO einen neuen Standard für die Eröffnungsphase fest. Bis dato ging man davon aus, dass sich der Muttermund pro Stunde etwa einen Zentimeter öffnet. Mittlerweile räumt die WHO ein, dass diese Regel nicht für alle Frauen gleichermaßen Anwendung finden kann. Eine planmäßige Öffnung des Muttermundes und somit ein kalkulierbares Voranschreiten der Geburt sei nicht realistisch, so die Weltgesundheitsorganisation. Die langsame Muttermundöffnung solle per se keine Indikation für die Gabe von Wehenmitteln sein. Eine strenge medizinische Überwachung, z.B. mittels Wehenschreiber, ist auch nicht zwingend erforderlich. Ausnahmen gelten selbstverständlich für Notfälle und Komplikation. In solchen Situationen, sei es dennoch wichtig, die Gebärende umfassend aufzuklären und so weit wie möglich am Entscheidungsprozess teilhaben zu lassen.

Medikamente zur Geburtseinleitung

Der Einsatz eines Wehenmittels gilt als klassische Intervention unter der Geburt. Die entsprechenden Medikamente werden dabei in der Anfangsphase also in der Eröffnungsphase angewandt. Weit verbreitet sind synthetische Präparate mit Prostaglandin oder Oxytocin. Prostaglandin wirkt auf den Muttermund, das Gewebe wird gelockert und die Wehentätigkeit sanft angeregt. Häufig wird dieses Wehenmittel in Form von Zäpfchen/Tabletten in die Scheide eingeführt oder als Gel direkt auf den Muttermund aufgetragen. Oxytocin ist nicht nur ein Schwangerschafts- sondern auch ein Geburtshormon. Es verursacht das Einsetzen der Wehen und sorgt dafür, dass sich die Gebärmutterkontraktionen immer weiter verstärken. Schließlich soll das Kind mit Hilfe der Wehen durch den Geburtskanal geschoben werden. Kommen die Wehen gar nicht in Gang oder ebben sie unter der Geburt wieder ab, wird in Kliniken häufig künstliches Oxytocin verabreicht. Nicht immer ist der Körper darauf vorbereitet, viele Frauen berichten, dass sie unter dem Einfluss von künstlichem Oxytocin die Wehen stärker und schmerzhafter empfinden.

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Mehr erfahren:

Medikamente in der Stillzeit

Kommen wir nun zu einem heiklen Thema: Stillen und die Einnahme von Medikamenten. Es lässt sich nicht verhindern, dass du krank wirst, selbst wenn du stillst. Zudem gibt es einige Mütter, die auf die regelmäßige Einnahme von bestimmten Wirkstoffen angewiesen sind, spezielle Erkrankungen können ebenso eine Behandlung erforderlich machen. Wenn eine medikamentöse Therapie notwendig ist, bedeutet das jedoch nicht, dass du dein Baby abstillen musst. Eine Vielzahl der gängigen Präparate darf auch in der Stillzeit verordnet werden, nur wenige Medikamente sind mit dem Stillen nicht kompatibel.

Weiterlesen

Erste Hilfe bei Säuglingen

So unterschiedlich Kulturen und Erziehungsstile auch sein mögen, eines verbindet alle Eltern dieser Welt: sie wollen, dass es ihrem Baby gut geht. Leider gibt es jedoch auch immer wieder Not-Situationen, die sowohl Eltern als auch Kinder an ihre Grenzen bringen. Kommt ein Säugling zu Schaden beispielsweise durch Verbrennungen oder Atemnot, gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Weiterlesen

Die Periode nach der Geburt

Eine Geburt ist ein einschneidendes Erlebnis und bringt einige Veränderungen mit sich. In den ersten Wochen danach steht vor allem das Kind im Lebensmittelpunkt der frischgebackenen Eltern. Doch auch der Körper der Mutter braucht viel Aufmerksamkeit und Zeit, damit er sich erholen kann.

Weiterlesen

Obsorge und Kindeswohl – Auszug aus dem österreichischen Familienrecht

Das Familienrecht regelt unterschiedliche Aspekte rund um das Zusammenleben von Ehepartnern, Eltern und Kindern. Das betrifft die Bereiche der Obsorge und Vaterschaft, ebenso wie Unterhaltsregelungen, Lebensgemeinschaften/Patchwork oder so genannte Pflegekindschaften. Wenn sich Eltern nun trennen, gilt es, die gemeinsame Obsorge weiterzuführen und alle Vereinbarungen für das Leben nach der Trennung/Scheidung zu treffen. Worauf du dabei achten solltest und welche rechtlichen Mittel für solche Situationen vorgesehen sind – wir klären auf.

Weiterlesen

Melde dich zum Schwanger.at Newsletter an – dich erwarten spannende Artikel, Produkttests und Gewinnspiele!

Bitte rechnen Sie 9 plus 6.